Die sechs Basishaltungen im Hatha-Yoga

Das Wort „Hatha“ (Sanskrit) bedeutet, direkt übersetzt „Kraft“, „Gewalt“, „Bemühung“. Dies verweist auf den körperlichen Aspekt des Hatha-Yoga. In dieser Yogaform steht also das körperliche Tun im Vordergrund. 

Daneben gibt es andere Yogatraditionen, die bei uns im Westen weniger bekannt sind. Jhana-Yoga ist z.B. der Yoga des Wissens. In ihm wird, in philosophischer Auseinandersetzung, das Erlangen von Erkenntnis angestrebt. Im Bhakti-Yoga hingegen steht die Hingabe an das Göttliche im Vordergrund. Weitere Yogarichtungen wären aufzählbar.

Für das Hatha-Yoga steht die Idee, durch die jeweiligen Yogastellungen (Asanas), Körper und Geist zu harmonisieren.

Solltest du dich mal gefragt haben, was ist der Unterschied zwischen Hatha-Yoga und Vinyasa- oder Flow-Yoga? Von der Nomenklatur her gibt es keinen. Das meiste, was an Yoga in unseren Yogastudios angeboten wird, ist Hatha-Yoga.

Die Art und Weise, wie  Hatha Yoga praktiziert wird, kann aber unterschiedlich sein und eben jeweils andere Bezeichnungen haben.

Die Grundidee des Hatha-Yoga ist gekennzeichnet durch sechs Basishaltungen, die eine gute Yogastunde sozusagen aus und rund machen. 

 

  • Seitdehnungen/ -streckungen, - Rückbeugen, - Vorbeugen, 
  • Umkehrhaltungen, - Drehpositionen,  - Gleichgewichtsübungen

 

Um die sechs Basishaltungen gruppieren sich verschiedene Stellungen, die jeweils der Grundintension der Basishaltung verpflichtet sind. So ist die Kobra genauso, wie der Bogen oder das Kamel eine Rückbeuge und die Krokodilsposition ebenso wie der Drehsitz eine Drehposition.

Die Abfolge der Basishaltungen unterscheidet sich im Hatha-Yoga von Tradition zu Tradition. Das Augenmerk kann auf energetische Aspekte (Chakrenaktivierung) oder auf physiologische Sinnhaftigkeit gelegt werden. Man kann die Gruppierung der Basishaltungen auch danach treffen, ob die Asanas im Stehen, im Sitzen oder aus der Bauch- oder Rückenlage durchgeführt werden. 

Für mich ist die Pulsation von Ein- und Ausatmung ein wichtiger Gesichtspunkt, nach dem ich den Aufbau meiner Yogastunden ausrichte. Die Teilnehmenden sollen also nicht außer Atem kommen. Denn, je mehr man außer Atem kommt, desto unruhiger wird der Geist. Es kann dann leicht eine stressige Situation entstehen, der man entfliehen will. Das yogische Ziel, in geistiger Ruhe, mit uns selbst und dem Moment in Kontakt zu treten, wird dadurch verfehlt. Wenn dennoch aktivierend praktiziert werden soll, um den Körper zu kräftigen, ist es wichtig auf die Atmung der Teilnehmenden zu achten. 

Der Atem ist das wichtigste Instrument zur Ausrichtung unserer Präsenz. Diese Aufgabe kann er aber nur erfüllen, wenn verstärkt einatemorientierte Sequenzen achtsam durch ausatemorientiert-neutralisierende  Phasen ergänzt werden.

Die Basishaltungen im einzelnen:

 

  • Seitdehnungen/ -streckungen

Yogastunden beginne ich immer wieder gerne mit leichten Seitdehnungen/ -streckungen. Sie weiten und mobilisieren den Brustbereich und den Schultergürtel wunderbar und schaffen so eine Grundöffnung für die weitere Praxis. Dennoch ist es an dieser Stelle willkürlich, sie an den Anfang der Aufzählung zu setzen. 

Neben den eben genannten leichten Seitdehnungen, die eher zur Mobilisation und Körper-Atemfokussierung für den Anfang der Stunde geeignet sind, können folgende Asanas als klassische Seitdehnungen gelten: 

- gestreckter, seitlicher Winkel (Utthita Parsvakonasana), - Stuhlhaltung (Utkatasana), - gedrehte Kopf-an-die-Knie-Haltung (Parivritta Janu Shirsasana), - Querbalken (Parighasana), - Kuhkopf (Gomukhasana) etc.

 

Ganz gleich, ob im Einzelnen eher der aktive Streckungs- oder der passive Dehnungsimpuls betont wird; einatmend kann in dieser Gruppe immer gut auf den Aspekt der Weite, der inneren Öffnung über die Flanken, Bezug genommen werden. Die Ausatmung ist, wie auch in Rückbeugen, von geringerer Bedeutung. Es kann aber, über die Ausatmung, sehr gut ein Entspannungs-, Lösungsimpuls, in der betreffende Seite, erlebbar gemacht werden.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass es viele Yogahaltungen gibt die, je nach Intention, unterschiedlich gruppiert und im Stundenablauf einsetzbar sind.

Beispielsweise kann der abwärtsblickende Hund, mit Fokus auf die Arm- und Körperseitstreckung, als eine aktivierende Haltung, am Anfang der Stunde gut platziert sein, die Weite und Öffnung im Blickfeld. Als armgestütze Umkehrhaltung kann, im späteren Verlauf der Stunde, die gleiche Asana, eher lösungs- und ausatemorientiert, auch als Stellung der aktiven Entspannung und Einkehr, praktiziert werden. Dies verweist darauf, dass die Gruppierung der Asanas nicht ausschließlich aus körperlichen Ausrichtungsgegebenheiten ableitbar ist.

 

 

  • Rückbeugen

Spontan ist die Gruppe der Rückbeugen bei vielen Praktizierenden nicht unbedingt die beliebteste. Rückbeugen lösen oft Assoziationen von Anstrengungen oder schwer bewältigbaren Herausforderungen aus. 

Um die Basishaltung der Rückbeuge gruppieren sich z.B. folgende Stellungen: - Kobra (Bhujangasana), - Heuschrecke (Salabhasana), - Bogen (Dhanurasana), - Kamel (Ustrasana), - Fisch (Matsyasana), - Brücke (Dwi Pada Pitham)

Ob diese Positionen nun aus der Bauch- oder Rückenlage, oder aus dem Kniestand ausgeführt werden, sie öffnen und weiten die Brust oder, wenn man so will, den vorderen Herzbereich. Allesamt sind sie einatemorientiert. Den Einatem bis in Brust, Schlüsselbeine, ja Kehle, ggf. Achselhöhlen bewusst zu fokussieren unterstreicht diese öffnende Absicht.

Das Ausdehnen der Körpervorderseite, den eigenen Raum von innen her weiten, kann Verzagtheiten auflösen, in dem die innere Enge durchbrochen wird. Auch kann man in diesen, zugegebenermassen manchmal fordernden Haltungen lernen, dass man sich, neben dem mit der Einatmung nach außen Wenden, über ein bewusstes Ausatmen, immer wieder gut in Kontakt mit sich selbst bringt. Fokussierte Körperregionen können gelöst werden. Beispielsweise in der Kobra der Nacken. Dies kann Anstrengungen lindern und uns noch präsenter werden lassen, was immer wichtig ist, wenn wir uns öffnen.

 

  • Vorbeugen

Wer sich öffnet, sollte sich auch wieder bewusst zurückziehen, um einen guten Kontakt, mit sich selbst zu kultivieren. Dieses In-sich-Selbst-Verankern erdet nicht nur das Wechselspiel von, dem sich der Welt Zuwenden auf der einen und des erspürens, des Mit-sich-selbst-Seins, auf der anderen Seite. Die bewusste Selbstwahrnehmung öffnet das Tor zu unserer inneren Welt. 

Vorbeugen haben auch immer etwas mit Hingabe zu tun. Hingabe ist nicht Aufgabe. Sie bleibt souverän und wird durch die Fokussierung auf die Ausatmung gefördert. 

Schön, dass dieses Moment aus vielen Haltungen heraus geübt werden kann: Wir kennen die Vorbeugen aus dem Stehen z.B. (Uttanasana), und dem Sitzen z.B. (Paschimottanasa). Aber auch eine aktiv geübte Version der Stellung des Kindes (beispielsweise, mit über den Knien gehaltenen Hüften und gestreckten Armen) oder eine, aus der Rückenlage, ggf. mit Gurt über dem Fussballen geübte Streckung des Beines, kann diese Qualitäten der Vorbeuge erfüllen.

 

  • Umkehrhaltungen

Umkehrhaltungen kontrastieren unsere Alltagsausrichtung wohl am meisten. Sprichwörtlich werden in diesen Positionen, der Kopf dem Herzen oder dem Becken, wenn man so will, untergeordnet. Klassische Beispiele für Umkehrhaltungen sind der Kopf- (Sirshasana) und Schulterstand (Sarvangasana); auch in allen die Halswirbelsäule schonenden Variationen. Auch Unterarm- (Pincha Mayurasana) und Handstand (Ado Mukha Vrksasana) sind hier zu nennen. Klar, dass alle, die an diesen Positionen nicht verzweifeln, sie gar meistern, vom Effekt des gesteigerten Selbstvertrauens profitieren können. Doch langsam, langsam .. Es ist immer besser für die Herausbildung des Selbstvertrauens, Umkehrhaltungen zu praktizieren, die ggf. weniger Frustrationspotential haben, als sie ganz aus dem Praxisprogramm zu nehmen.

Der abwärtsblickende Hund (Adho Mukha Svanasana) und die Delfinübung sind beispielsweise ebenfalls Positionen, die das Kriterium, Herz über Kopf, als armgestützte Umkehrstellung, erfüllen.

Diese ungewohnten Haltungen bieten dem Geist Gelegenheit sich, in besonderem Masse, auf das Tun zu fokussieren. Ein fokussierter Geist lässt den Rückschluss auf einen vertieften Atem zu. Die Ausatmung profitiert hier insbesondere, während die Einatmung den aktivierenden Aspekt der Umkehrhaltung unterstreicht.

 

  • Gleichgewichts- und Standhaltungen

Das Ausbalancieren ist ein entscheidendes Merkmal dafür, dass wir uns auf den jeweiligen Moment einlassen. Der jeweilige Moment ist der Garant dafür, dass wir uns lebendig, mit dem Fluß des Lebens verbunden, fühlen können. Bei Gleichgewichts- und Standhaltungen geht es, wie übrigens bei allen Asanas, nicht um Perfektion, sondern um die Absicht, mit dem Hier und Jetzt und damit letztendlich mit uns selbst, Kontakt aufzunehmen. Die Vielzahl an Asanas des Hatha Yoga sind folglich kein Selbstzweck. Genauso, wie man manchmal gut eine Leiter gebrauchen kann, um eine Glühbirne zu wechseln, sind sie ein Vehikel, um über das Finden der inneren Balance, mit sich selbst in Verbindung zu treten.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass neben all den Gleichgewichts- und Standhaltungen, wie Adler (Garudasana), Tänzer (Natarajasana), den Heldenpositionen (Virabadrasana), die stehend ausgeführt werden; Gleichgewichtspositionen auch auf den Händen, z.B. Pfau (Mayurasana), Krähe (Bakasana) oder im Sitzen, z.B. Boot (Navasana), ausgeführt werden.

In dieser Gruppe lassen sich die beiden Ausrichtungsprinzipien Festigkeit (Sthira) und Leichtigkeit, Freude (Sukham) vortrefflich üben und über einen bewussten Atemfluss, in dem Bemühen um Präsenz, in die Praxis integrieren.

 

  • Drehpositionen

Drehpositionen im Yoga können sitzend, z.B. Drehsitz (Ardha Matsyendrasana), aus der Rückenlage, z.B. Krokodilsposition (Makarasana), in Varianten der Kobra, ggf. auch aus der Bauchlage und stehend, z.B. gedrehte-seitliche  Winkelhaltung (Parivrtta Parsvakonasana) ausgeführt werden.

Sie dienen hauptsächlich der Mobilisation der Wirbelsäule und damit auch der Revitalisierung ihrer nicht durchbluteten Gelenkknorpel. Diese werden, durch die Bewegung, u.a. mit frischen Nährstoffen, versorgt.

Mit der Wirbelsäule rückt unsere, zentrale Lebensachse in unseren Bewusstseinsfokus. Mental kommen wir mehr, über das Tun, in unserer Mitte an. Ein- und Ausatmung sind von gleichrangiger Bedeutung und unterstützen die Harmonisierung in Drehpositionen. Mit der Einatmung wir der Streckimpuls gesetzt und mit der Ausatmung erfolgt die Vertiefung der Asana.

 

Ergänzt werden diese sechs Basishaltungen einer Yogastunde durch Entspannungspositionen. Diese können aus unterschiedlichen Grundhaltungen, u.a. kniend, Stellung des Kindes (Balasana), sitzend, z.B. Fersensitz (Vajrasana) oder liegend, Rückenentspannungslage (Savasana), ausgeführt werden. Sie unterstützen die Praxis der Basishaltungen, indem sie dem Körper eine Vertiefung der lösenden Momente der Yogapraxis bieten. Dies hilft überschüssige Anspannungen abfliessen zu lassen und auf diese Weise die Grundidee der Yogapraxis, nämlich, die Geistestätigkeiten zu beruhigen, zu fördern.

Abschließend möchte ich erwähnen, dass die vorgestellte Einteilung der sechs Basishaltungen des Hatha Yoga keinen allgemeinen Gültigkeitsanspruch erhebt. Sie ist eine didaktische Hilfestellung, die den „roten Faden“ einer ganzheitlichen Yogastunde bilden kann. Ebenfalls folgen die sechs Basishaltungen nicht einer starren Aneinanderreihung, sondern sind vielmehr ausgleichend im Gesamtablauf der Stunde zu gruppieren. (cv)