
Der indische Gelehrte Patanjali erläutert in seinen Yogasutren die Beschreibung der acht Glieder des Ashtanga-Yoga nicht in einem Kapitel. Die Darlegung ist so aufgebaut, dass er die ersten fünf Glieder (Yama, Niyama, Asana, Pranayama und Pratyahara) im zweiten Kapitel zusammenfasst und die drei folgenden (Dharana, Dhyana und Samadhi) dem Anfang des dritten Kapitels zuordnet. Diese Abgrenzung zollt dem Umstand Respekt, dass die ersten fünf Glieder, vereinfacht gesagt, auf eine bestimmte Art und Weise, in der Aussenwelt, realisiert werden müssen. So regulieren wir mit Yama und Niyama eigene Verhaltensweisen und bewusst auch den Umgang mit der uns umgebenden Welt. Auch Asana und Pranayama sind, zumindest zunächst, ein Tun das sich an einer äußeren Form orientiert. Viele Yoginis und Yogis arbeiten am perfekten Alignment, um die Wirkungen ihrer Praxis zu optimieren. Auch ein, in der Form, unzureichend angeleitetes Vorgehen beim Pranayama kann für die Übenden unangenehme Folgen haben.
Selbst Pratyahara ist eben das bewusste Zurückziehen der Sinne (von ihren Objekten). Also ein „aktives“ nach-Innen-wenden, das wir gängiger Weise dadurch unterstützen, indem wir uns an einen Ort begeben, der die notwendige Ruhe für diese Absicht verspricht. Dort nutzen wir Techniken der Atemregulation (z.B. Ujjayi-Atmung) oder auch dem Vorhaben dienliche Affirmationen, um in unserer Innenwelt anzukommen.
Von den folgenden, drei letzten Gliedern, Dharana, Dhyana und Samadhi spricht Patanjali als Samyama (III, 4), wenn sie in Folge, zusammen auftreten. Samyama meint per Definition Sammlung, Ausgerichtetheit des Geistes.
An dieser Stelle muss gesagt werden, dass Patanjalis didaktisches Vorgehen, um seine Darlegung zu verdeutlichen, natürlich nicht ganz stringent ist. Das sehen wir, wenn wir das sechste Glied „Dharana“ (Konzentration) näher betrachten, was von Patanjali, kurz und knapp, als Bindung des Geistes an einen Ort beschrieben wird (III, 1).
Der Grunddefinition von Yoga, nämlich dass es das zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geiste ist, folgend, geht es darum unseren sprunghaften Alltagsgeist (was mache ich, wenn ich diesen Artikel gelesen habe, habe ich alles eingekauft, wen will ich heute noch treffen etc.) zu beruhigen. Dabei ist in der Tat das aktiv-intendierte Vorgehen dazu, wesentlich mehr ein innerer Prozess, als beispielsweise das korrekte Ausführen einer Asana, das bestimmten Vorstellungen eines Alignments genügen will.
Dennoch, egal, ob ich nun, um den Dharana-Zustand zu erreichen, versuche meine geistige Aufmerksamkeit an meinen Atem, an ein Mantra oder an ein äußeres Objekt (z.B. Tratak) zu heften; es ist zunächst natürlich eine formale Technik, der ich mich bediene und damit noch ein bewusst initiiertes Tun und soweit letztendlich also auch noch der Aussenwelt verhaftet.
Hier ist es wichtig, sich klarzumachen, dass jede Meditationstechnik nicht identisch mit der Meditation ist. Sie ist immer nur ein Vehikel, um einen meditativen Zustand herbeizuführen und als solcher, aktiv gemacht.
Die Meditation selbst ist ein von jeglicher äusserer Form befreiter Zustand.
Um „Dhyana“ (Meditation) empfangen zu können und Meditation kann, wie der Schlaf, eben nur begünstigt aber nicht gemacht werden, ist es notwendig die Konzentration im Laufe des Prozesses zu lockern. Nicht damit der Geist wieder hin- und herspringen kann wie er will, sondern damit der Geist von allen gemacht-äußeren Aktivitäten gelöst, befreit und klar sein kann.
„Samadhi“ letztendlich ist eine Erfahrung, die aus der Verinnerlichung entsteht, aber nicht zu einer Abkehr von der Aussenwelt führen soll. Samadhi ist eine Transformation des Geistes. Eine Transformation, die ein Dasein eröffnet, weg vom Alltagsbewusstsein mit all seinen Dichotomien, Dualitäten und Gefühlen von etwas getrennt zu sein, hin zur vom Bewusstsein der Verbundenheit geprägten Einheitserfahrung.
Damit schließe ich die kleine Reihe zu Patanjali’s Asthanga-Yoga. In ihrer Gesamtheit stellen die acht Glieder ein philosophisches Lebenskonzeptes dar. Dem zufolge der Weg immer wieder in aktiver Auseinandersetzung mit der Welt und mit uns selbst beginnt. Weiter führt dieser Weg, über ein bewusst praktizierendes Tun auf der Matte und das aktiv intendierte Verinnerlichen, zu einem Zustand in dem wir uns öffnen, um das Gefühl von wahrer, bedingungsloser Verbundenheit empfangen zu können. (cv)