Die fünf Niyamas

Während die Yamas unser Verhalten den anderen gegenüber kultivieren, gilt es mit den fünf Niyamas unsere persönliche Lebensführung so zu gestalten, dass sie dem Vorhaben, der Bewusstseinstransformation, dienlich ist.

Patanjali beginnt mit dem Aspekt „Saucha“ (Reinheit). Wir erinnern uns, für ihn ist das Ziel von Yoga, das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geiste. Daraus ist zu folgern, dass jegliches Verhalten zu fördern ist, das diese Klarheit im Geiste entstehen lässt.

Für Reinheit zu sorgen ist deshalb naheliegend. Eine Anregung, die sich auf alle Bereiche unserer täglichen Lebensführung erstreckt. Es geht dabei nicht nur um ein aufräumen und sauber halten unserer Umgebung oder um die Frage, welche Nahrungsmittel ich wann zu mir nehme, um meinen Geist weder träge noch übererregt werden zu lassen. Es geht darüber hinaus auch darum, Kenntnis zu erlangen, welche Gedanken und Sinneseindrücke hilfreich sind, Ruhe in uns zu erzeugen. 

Die Niyamas sind eng mit dem in der Samkhya-Philosophie beschriebenen Konzept der drei Gunas (Grundbausteine des Lebens) verwoben. Stark verkürzt heißt das Sattva (Reinheit/das Gleichgewicht) zu mehren, in dem wir Rajas (Erregung/Unruhe) und Tamas (Trägheit/Dunkelheit) ausgleichen. Die Instrumente hierzu sind u.a. Achtsamkeit und Unterscheidungsvermögen.

Diese Instrumente sind folglich auch bei der Kultivierung von „Santosha“ (Zufriedenheit) wichtig. Die Dinge so anzunehmen, wie sie sind, ist oft schwierig für uns. Geistesunruhe entsteht schnell durch zahllose Wünsche, die wir an das Aussen haben. Unsere Gier nach etwas anderem, als dem was jetzt ist, ist oft so blendend-mächtig, dass wir, zumindest nicht spontan, genügend Distanz zu diesen Wünschen aufbauen können und in einem Zustand unruhiger Getriebenheit verbleiben. Wenn es hier gelingt, uns mit Achtsamkeit und Unterscheidungsvermögen von den Wunschobjekten zu distanzieren, wird der Geist wieder klarer sehen können. Die großen Ziele unseres Lebens bekommen wieder Kontur.

„Tapas“, das dritte Niyama, meint in der direkten Übersetzung Hitze, Glut, Disziplin und Askese. Auch die frei gewählte und gesetzte Anstrengung kann zu Klarheit führen. Bewusst und entschieden auch mal Dinge zu tun, die wir nicht mögen, vermeidet gedanklich-verstrickende Abhängigkeiten und das Gefühl geistiger Trägheit. Wir kennen wohl alle das befreiende Potenzial von selbstauferlegten Verhaltensweisen, wie z.B. das Vorhaben im Urlaub jeden Morgen früh aufzustehen um joggen zu gehen. Der entscheidende (Befreiungs)-Aspekt ist hierbei, den geistigen Aktivitäten selbst eine Ausrichtung zu geben.  Auf diese Weise vermeiden wir ein mehr oder weniger lustloses Opfer von gewohnten Verhaltensweisen zu werden.

Tapas folgt „Svadhyaya“. (Sva = eigen/selbst und dhyeya = das zu Meditierende, Objekt, über das man meditiert.) Svadhyaya meint ein Kontemplieren und Erforschen unserer Selbst. Ein hilfreiches Instrument auf dieser Forschungsreise in eigener Sache ist das (tägliche) Studium der yogischen Schriften. Dazu sind heutzutage auch Podcasts, Youtubebeiträge etc. eine zusätzliche Bereicherung. Lasst euch inspirieren!

Svadhyaya ist aber auch das Bindglied zwischen Tapas und dem fünften Niyama „Ishvara Pranidhana“, der Kultivierung einer persönlichen Beziehung zu Gott oder wenn ihr so wollt, zu einer höheren Kraft. Denn ohne Svadhyaya würde Tapas wahrscheinlich nur zu einer Art Züchtigung unserer Selbst und Ishvara Pranidhana wahrscheinlich zu einer sich diffus manifestierenden Gläubigkeit führen.

Eine persönliche, individuell geprägte Beziehung zum Göttlichen aufzubauen klingt zunächst vielleicht merkwürdig. Letztendlich ist das Göttliche ja universell. Aber wir sind in unserer Art sehr unterschiedlich. Da ist es hilfreich, seinen eigenen, passenden Weg gehen zu können, ob der nun Raja-, Bhakti- oder Karmayoga heißt oder sich an einer anderen Glaubensrichtung, anderen Idealen, orientiert. 

Für mich selbst ist hierbei aber auch wichtig, da es immer einen Punkt geben kann, von wo es, trotz eifriger Anstrengung, in reflektierender Auseinandersetzung mit mir selbst, nicht wirklich weiterzugehen scheint, die Dinge auch vertrauensvoll ab- und hingeben zu können. Dieses entlastende Moment einer Begegnung mit etwas/dem Höheren macht mein Leben leichter und meinen Geist ebenfalls freier. 

 

Unser Geist ist seiner Natur entsprechend unruhig. Seine permanente Erregbarkeit ist für unser Leben sinnvoll. Sonst könnten uns leicht Dinge entgehen, die für unser Fortkommen wichtig sind. Nun leben wir aber auch in einer Welt, in der die Aussenreize eher zunehmen als weniger werden, was leicht zu einem Gefühl der Überaktivität unserer mentalen Prozesse führt. Gerade hier können die fünf Niyamas, jedes zum passenden Zeitpunkt für sich und in ihrer Beziehung zueinander sich ergänzen. Letztendlich sind sie ein wundervolles Hilfsmittel, um unseren Geist besser auszurichten und ihn so als Taktgeber für ein zielführendes Handeln zu orientieren. (cv)