Die Yamas

Vor die auf der Matte zu übenden Praxisschritte hat Patanjali die Yamas und Niyamas gesetzt. Sie fokussieren unsere alltäglichen Verhaltensweisen der Welt und uns selbst gegenüber. Auch wenn sie wie ein Regelwerk erscheinen, sind die Yamas und die Niyamas unbedingt eher als Übungswege zu verstehen. Es geht um die Schulung unseres Bewusstseins nicht um Rigidität!

Die fünf Yamas, um die es im Weiteren gehen soll, stellen Handlungsorientierungen dar und sollen eine stabile Basis für unsere Entfaltung/Befreiung schaffen.

Die erste Übungsvorgabe dabei ist „Ahimsa“ = Gewaltlosigkeit. Ahimsa ist ein äußerst weites Übungsfeld. Es geht nicht nur darum, dass unser Verhalten anderen gegenüber frei von grober Aggression sein soll. Schon die Art und Weise, wie wir am besten offen und einfühlsam kommunizieren ist eine fortwährende Praxisinspiration. Die entsprechenden Abwägungsprozesse begegnen uns im sozialen Umfeld auf Schritt und Tritt. Sind wir beispielsweise bereits vom Pfad des Nicht-Verletzens abgekommen, wenn wir mal über unsere Kollegen tratschen?

Auch wenn die Yamas in der Hauptsache unser Verhältnis zur Welt regulieren sollen, ist doch gerade beim Bemühen um Ahimsa wichtig daran zu erinnern, dass Gewaltlosigkeit auch ein bedeutendes Gebot uns selbst gegenüber ist. Nicht nur auf der Übungsmatte geht es darum Yoga so zu praktizieren, dass wir uns vor Zerrungen oder Schlimmerem bewahren, auch beispielsweise Selbstdiffamierungen jeglicher Art (ich bin zu blöd, zu alt, zu dick) können selbstverletzend sein. Sie gilt es sich bewusst zu machen und zu reduzieren.

Generell sind die Yamas, anders als die Niyamas, nicht als aufeinanderfolgend anzusehen. Doch wie noch zu zeigen ist, hat Ahimsa manchmal eben doch Vorrang vor den anderen Yamas.

Die zweite, zu kultivierende, Verhaltensweise ist „Satya“ = Wahrhaftigkeit. Gar nicht einfach.. Denn die subtilen Formen von Wahrhaftigkeit können durchaus die Absicht Ahimsa walten zu lassen konterkarieren. Denn ist es im alltäglichen Miteinander nicht manchmal besser auf die Frage, „wie geht es dir“ mit einem „gut“ zu antworten ohne das gegenüber mit genaueren Erläuterungen zu einem „schlecht“ behelligen zu müssen? Was ist mit all den kleinen Lügen aus Höflichkeit? Für die Momente in denen man sich nicht schweigend aus der Affäre ziehen kann, gilt im Zweifel: Gewaltlosigkeit, Nicht-Verletzen hat Priorität.

Das dritte Yama ist „Asteya“ = Nicht-Begehren. Auch hier zeigt sich möglicherweise, dass wir zunächst, in unserem alltäglich Verständnis auf ein spontanes, „klar, stehlen macht man nicht“ stossen. Doch, mal ehrlich, wer hat nicht schon einmal irgendwo etwas mitgehen lassen oder die Ideen anderer als die eigenen Einfälle ausgegeben.

In der Aufzählung folgt „Brahmacharya“ = (sinnliches) Masshalten. Ein etwas weiter gefasstes Begriffsverständnis. Denn in vielen Auslegungen wird Brahmacharya mit dem Vermeiden von sexuellem Fehlverhalten gleichgesetzt. Jedoch sollten wir uns an dieser Stelle vor Augen führen, dass es beim einüben der Yamas in erster Linie nicht um soziale Effekte geht. Das sich nach den Yamas ausrichten verfolgt eher eine Ökonomisierung der uns zur Verfügung stehenden Energie/Kraft. Die Mässigung in allen sinnlichen Dingen (auch essen, Unterhaltung etc.) soll unsere Energien kanalisieren, damit sie unserem yogischen streben nach Samadhi (Einung/Überwindung leidverursachender Dualitäten) zur Verfügung stehen.

Das Bemühen um Mässigung leitet über zu „Aparigraha“, dem fünften und letzten Yama. Die direkte Übersetzung, „parigraha“ = (an-)nehmen, „a“ = Negierung, verweist i.d.S. auf die Zügelung unserer Gier, unserer Konsumlust, zu derer Befriedigung auch viel Zeit und Energie verbraucht wird, und die uns niemals dauerhaft ein befreiendes Einheitsgefühl vermitteln kann.

 

In den Interaktionen mit der Welt, also quasi in jeder Lebenslage, stellen die fünf Yamas ein Übungsfeld zur Herausbildung einer (selbst)bewussten Verhaltensweise dar. So ist uns ein Instrumentarium gegeben, das unseren Blick für all die alltäglich auftretenden, ethischen Entscheidungsfragen, das eine zu tun und das andere ggf. zu lassen, schärfen kann. (cv)