Das Bemühen um Geistesruhe zur Kultivierung der inneren Beobachter*in - oder: Um was geht es im Yoga?

Yoga geht weit über die Praxis körperlicher Bewegungsabläufe und Stellungen hinaus, ja instrumentalisiert diese, um ein höheres Ziel zu erreichen.

Es ist immer wieder wichtig, sich vor Augen zu führen, dass der Fortschritt der Yogapraxis nicht unbedingt an der Ausführung immer schwierigerer Körperhaltungen abzulesen ist. Verlieren wir den eigentlichen Fokus unseres Tuns, besteht sogar die Gefahr weit vom Weg abzukommen, indem immer perfekter ausgeführtere Asanas in der Hauptsache unser Selbstwertgefühl anwachsen lassen. Dies kann unbestritten auch kurzfristig eine gute Gefühlslage erzeugen, ist aber keine Gewähr für einen befriedigerenden Kontakt zu uns selbst und zu anderen.

Nun, schon vor gut zweitausend Jahren scheinen die Menschen im alten Indien unter ihrem unruhig-getriebenen Alltagsgeist gelitten zu haben und suchten Abhilfe: Yoga.

Aus dieser Zeit stammt die bedeutendste Definition von Yoga, die dem indischen Gelehrten Patanjali zugeschrieben wird: „Yogas citta vritti nirodhah“ (I/2). Etwas frei übersetzt: Yoga ist das zur-Ruhe-bringen der Gedanken im Geiste.

Gelingt dies, kann sich die innere Beobachter*in manifestieren (I/3). In der Folge kann der Klarblick dieser Instanz der inneren Beobachter*in uns als Entscheidungshilfe sehr dienlich sein. Destruktiv-schmerzliche Kreisläufe der Unwissenheit (avidya) können erkannt und zu etwas Neuem, Konstruktiven entwickelt werden. 

Yoga ist also kein Workout, sondern eher eine mentale Praxis. Ich weiß nicht, ob die Krankenkassen bei ihrer Entscheidung, Yoga dem Präventionsfeld „Entspannung“ zuzuordnen dies vor Augen hatten. Die Verortung ist aber passend.

Das körperliche Bewegungssystem war übrigens von Patanjali in seinen Yogasutren gar nicht vorgesehen. Dennoch ist es, gerade für unsere heutige, von Bewegungsmangel geprägte Zeit in Betracht zu ziehen. Dabei ist es egal, ob dynamisch  oder durch das Einnehmen gehaltener Stellungen (Stellung = Asana) praktiziert wird. Wichtig ist die Verbindung und Ergänzung mit einem Nachspüren und dem immer wieder zur-Ruhe-Kommen sowie eine Bewusstheit für die jeweiligen aktiven oder entspannenden Phasen herzustellen. Der Körper als Instrument, an dessen Tun sich der Geist anhaften kann, um ihm einen Fokus zur Ausrichtung im Hier und Jetzt zu geben, ist ein idealer Kristallisationspunkt, um das eingangs benannte Ziel zu erreichen. (Nichts anderes passiert übrigens wenn wir von dem inspirierenden Potenzial eines bewusst-müßigen Spaziergangs überrascht werden.)

 

Die Bedeutung des Körperlichen im Yoga ist also kein Selbstzweck, sondern ermöglicht über die bewusste Zentrierung des Geistes auf die Praxis, ein in Kontakt gehen mit uns selbst im jeweiligen Moment. Wenn es uns so gelingt den Geist vom, in die Zukunft oder in die Vergangenheit, abschweifenden Denken auf das Gegenwärtige auszurichten, kann ein Zugang zu unserer freudvoll-wissenden Lebendigkeit entstehen. (cv)